Hegel

G.W.F. Hegel Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte

Einleitung

Geographische Grundlage der Weltgeschichte

Einteilung

Erster Teil. Die orientalische Welt

Erster Abschnitt: China

Zweiter Abschnitt: Indien

Buddhismus

Dritter Abschnitt: Persien

Erstes Kapitel. Das Zendvolk

Zweites Kapitel. Die Assyrer, Babylonier, Meder und Perser

Das persische Reich

Persien

Syrien und das semitische Vorderasien

Judäa

Ägypten

Übergang zur griechischen Welt

Zweiter Teil. Die griechische Welt

Erster Abschnitt: Die Elemente des griechischen Geistes

Zweiter Abschnitt: Die Gestaltungen der schönen Individualität

Erstes Kapitel.
Das subjektive Kunstwerk

Zweites Kapitel. Das objektive Kunstwerk

Drittes Kapitel. Das politische Kunstwerk

Die Kriege mit den Persern

Athen

Sparta

Der Peloponnesische Krieg

Das makedonische Reich

Dritter Abschnitt: Der Untergang des griechischen Geistes

Dritter Teil. Die römische Welt

Erster Abschnitt: Rom bis zum zweiten Punischen Kriege

Zweites Kapitel. Die Geschichte Roms bis zum zweiten punischen Kriege

Zweiter Abschnitt: Rom vom zweiten Punischen Kriege bis zum Kaisertum

Dritter Abschnitt
Erstes Kapitel. Rom in der Kaiserperiode

Zweites Kapitel. Das Christentum

Drittes Kapitel. Das byzantinische Reich

Vierter Teil. Die germanische Welt

Die Völkerwanderungen

Der Mohammedanismus

Das Reich Karls des Grossen

Zweiter Abschnitt: Das Mittelalter

Erstes Kapitel. Die Feudalität und die Hierarchie

Zweites Kapitel. Die Kreuzzüge

Drittes Kapitel. Der Übergang der Feudalherrschaft in die Monarchie

Kunst und Wissenschaft als Auflösung des Mittelalters

Dritter Abschnitt: Die neue Zeit

Erstes Kapitel. Die Reformation

Zweites Kapitel. Wirkung der Reformation auf die Staatsbildung

Drittes Kapitel. Die Aufklärung und Revolution

 

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G.W.F. Hegel
Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte

Übersicht

Erster Teil. Die orientalische Welt

Wir haben die Aufgabe, mit der orientalischen Welt zu beginnen, und zwar insofern wir Staaten in derselben sehen.
Die Verbreitung der Sprache und die Ausbildung der Völkerschaften liegt jenseits der Geschichte. Die Geschichte ist prosaisch, und Mythen enthalten noch keine Geschichte. Das Bewußtsein des äußerlichen Daseins tritt erst ein mit abstrakten Bestimmungen, und sowie die Fähigkeit vorhanden ist, Gesetze auszudrücken, so tritt auch die Möglichkeit ein, die Gegenstände prosaisch aufzufassen.
Indem das Vorgeschichtliche das ist, was dem Staatsleben vorangeht, liegt es jenseits des selbstbewußten Lebens, und wenn Ahnungen und Vermutungen hier aufgestellt werden, so sind dies noch keine Fakta. Die orientalische Welt hat als ihr näheres Prinzip die Substantialität des Sittlichen. Es ist die erste Bemächtigung der Willkür, die in dieser Substantialität versinkt.
Die sittlichen Bestimmungen sind als Gesetze ausgesprochen, aber so, daß der subjektive Wille von den Gesetzen als von einer äußerlichen Macht regiert wird, daß alles Innerliche, Gesinnung, Gewissen, formelle Freiheit nicht vorhanden ist und daß insofern die Gesetze nur auf eine äußerliche Weise ausgeübt werden und nur als Zwangsrecht bestehen. Unser Zivilrecht enthält zwar auch Zwangspflichten: ich kann zum Herausgeben eines fremden Eigentums, zum Halten eines geschlossenen Vertrages angehalten werden; aber das Sittliche liegt doch bei uns nicht allein im Zwange, sondern im Gemüte und in der Mitempfindung. Dieses wird im Oriente ebenfalls äußerlich anbefohlen, und wenn auch der Inhalt der Sittlichkeit ganz richtig angeordnet ist, so ist doch das Innerliche äußerlich gemacht. Es fehlt nicht an dem Willen, der es befiehlt, wohl aber an dem, welcher es darum tut, weil es innerlich geboten ist. Weil der Geist die Innerlichkeit noch nicht erlangt hat, so zeigt er sich überhaupt nur als natürliche Geistigkeit.
Wie Äußerliches und Innerliches, Gesetz und Einsicht noch eins sind, so ist es auch die Religion und der Staat.
Die Verfassung ist im ganzen Theokratie, und das Reich Gottes ist ebenso weltliches Reich, als das weltliche Reich nicht minder göttlich ist. Was wir Gott nennen, ist im Orient noch nicht zum Bewußtsein gekommen, denn unser Gott tritt erst in der Erhebung zum Übersinnlichen ein, und wenn wir gehorchen, weil wir das, was wir tun, aus uns selbst nehmen, so ist dort das Gesetz das Geltende an sich, ohne dieses subjektiven Dazutretens zu bedürfen.
Der Mensch hat darin nicht die Anschauung seines eigenen, sondern eines ihm durchaus fremden Wollens.

Von den einzelnen Teilen Asiens haben wir schon als ungeschichtliche ausgeschieden: Hochasien, soweit und solange die Nomaden desselben nicht auf den geschichtlichen Boden heraustreten, und Sibirien. Die übrige asiatische Welt teilt sich in vier Terrains: Erstens die Stromebenen, gebildet durch den gelben und blauen Strom, und das Hochland Hinterasiens - China und die Mongolei. Zweitens das Tal des Ganges und das des Indus. Das dritte Theater der Geschichte sind die Stromebenen des Oxus und Jaxartes, das Hochland von Persien und die anderen Talebenen des Euphrat und Tigris, woran sich Vorderasien anschließt. Viertens die Stromebene des Nil.

Mit China und den Mongolen, dem Reiche der theokratischen Herrschaft, beginnt die Geschichte. Beide haben das Patriarchalische zu ihrem Prinzip, und zwar auf die Weise, daß es in China zu einem organisierten Systeme weltlichen Staatslebens entwickelt ist, während es bei den Mongolen sich in die Einfachheit eines geistigen, religiösen Reichs zusammennimmt. In China ist der Monarch Chef als Patriarch: die Staatsgesetze sind teils rechtliche, teils moralische, so daß das innerliche Gesetz, das Wissen des Subjekts vom Inhalte seines Wollens als seiner eigenen Innerlichkeit, selbst als ein äußerliches Rechtsgebot vorhanden ist. Die Sphäre der Innerlichkeit kommt daher hier nicht zur Reife, da die moralischen Gesetze wie Staatsgesetze behandelt werden und das Rechtliche seinerseits den Schein des Moralischen erhält. Alles, was wir Subjektivität nennen, ist in dem Staatsoberhaupt zusammengenommen, der, was er bestimmt, zum Besten, Heil und Frommen des Ganzen tut. Diesem weltlichen Reiche steht nun als geistliches das mongolische gegenüber, dessen Oberhaupt der Lama ist, der als Gott verehrt wird. In diesem Reiche des Geistigen kommt es zu keinem weltlichen Staatsleben.

In der zweiten Gestalt, dem indischen Reiche, sehen wir die Einheit des Staatsorganismus, die vollendete Maschinerie, wie sie in China besteht, zunächst aufgelöst: die besonderen Mächte erscheinen als losgebunden und frei gegeneinander. Die verschiedenen Kasten sind freilich fixiert, aber durch die Religion, welche sie setzt, werden sie zu natürlichen Unterschieden. Dadurch werden die Individuen noch selbstloser, obgleich es scheinen könnte, als wenn sie durch das Freiwerden der Unterschiede gewönnen; denn indem der Organismus des Staates nicht mehr wie in China von dem einen substantiellen Subjekt bestimmt und gegliedert wird, fallen die Unterschiede der Natur anheim und werden Kastenunterschiede. Die Einheit, in welche diese Abteilungen am Ende zusammenkommen müssen, ist eine religiöse, und so entsteht theokratische Aristokratie und ihr Despotismus. Es beginnt hier nun zwar ebenso der Unterschied des geistigen Bewußtseins gegen weltliche Zustände, aber wie die Losgebundenheit der Unterschiede die Hauptsache ist, so findet sich auch in der Religion das Prinzip der Isolierung der Momente der Idee, welches die höchsten Extreme, nämlich die Vorstellung des abstrakt einen und einfachen Gottes und der allgemein sinnlichen Naturmächte enthält. Der Zusammenhang beider ist nur ein steter Wechsel, ein nie beruhigtes Schweifen von einem Extrem zu dem anderen hinüber, ein wilder konsequentloser Taumel, der einem geregelten verständigen Bewußtsein als Verrücktheit erscheinen muß. 

Die dritte große Gestalt, die nun gegen das bewegungslose Eine Chinas und die schweifende ungebundene indische Unruhe auftritt, ist das persische Reich. China ist ganz eigentümlich orientalisch; Indien könnten wir mit Griechenland, Persien dagegen mit Rom parallelisieren. In Persien nämlich tritt das Theokratische als Monarchie auf. Nun ist die Monarchie eine solche Verfassung, die ihre Gliederung wohl in der Spitze eines Oberhauptes zusammennimmt, aber dieses weder als das schlechthin allgemein Bestimmende noch als das willkürlich Herrschende auf dem Throne stehen sieht, sondern so, daß sein Wille als Gesetzlichkeit vorhanden ist, die es mit seinen Untertanen teilt. So haben wir ein allgemeines Prinzip, ein Gesetz, das allem zugrunde liegt, aber das selbst noch als natürlich mit dem Gegensatze behaftet ist. Daher ist die Vorstellung, die der Geist von sich selbst hat, auf dieser Stufe noch eine ganz natürliche, das Licht. Dieses allgemeine Prinzip ist ebenso die Bestimmung für den Monarchen als für jeden der Untertanen, und der persische Geist ist so der reine, gelichtete, die Idee eines Volkes in reiner Sittlichkeit wie in einer heiligen Gemeine lebend.
Diese aber hat teils als natürliche Gemeine den Gegensatz unüberwunden an ihr, und ihre Heiligkeit erhält diese Bestimmung des Sollens, teils aber zeigt sich in Persien dieser Gegensatz als das Reich feindlicher Völker sowie als der Zusammenhang der verschiedenen Nationen. Die persische Einheit ist nicht die abstrakte des chinesischen Reiches, sondern sie ist bestimmt, über viele unterschiedene Völkerschaften, die sie unter der milden Gewalt ihrer Allgemeinheit vereinigt, zu herrschen und wie eine segnende Sonne über alle hinwegzuleuchten, erweckend und wärmend.
Alles Besondere läßt diese Allgemeinheit, die nur die Wurzel ist, frei aus sich herausschlagen und sich, wie es mag, ausbreiten und verzweigen. Im Systeme daher dieser besonderen Völker sind auch alle verschiedenen Prinzipien vollständig auseinandergelegt und existieren nebeneinander fort. Wir finden in dieser Völkerzahl schweifende Nomaden, dann sehen wir in Babylonien und Syrien Handel und Gewerbe ausgebildet, die tollste Sinnlichkeit, den ausgelassensten Taumel. Durch die Küsten kommt die Beziehung nach außen. Mitten in diesem Pfuhl tritt uns der geistige Gott der Juden entgegen, der wie Brahman nur für den Gedanken ist, doch eifrig, und alle Besonderheit des Unterschiedes, die in anderen Religionen freigelassen ist, aus sich ausschließend und aufhebend. Dieses persische Reich also, weil es die besonderen Prinzipien frei für sich kann gewähren lassen, hat den Gegensatz lebendig in sich selbst; und nicht abstrakt und ruhig wie China und Indien in sich beharrend, macht es einen wirklichen Übergang in der Weltgeschichte.

Wenn Persien den äußerlichen Übergang in das griechische Leben macht, so ist der innerliche durch Ägypten vermittelt.
Hier werden die abstrakten Gegensätze durchdrungen, eine Durchdringung, die eine Auflösung derselben ist.
Diese nur an sich seiende Versöhnung stellt vielmehr den Kampf der widersprechendsten Bestimmungen dar, die ihre Vereinigung noch nicht herauszugebären vermögen, sondern, diese Geburt sich als Aufgabe setzend, sich für sich selbst und andere zum Rätsel machen, dessen Lösung erst die
griechische Welt ist.

Vergleichen wir diese Reiche nach ihren verschiedenen Schicksalen, so ist das Reich des chinesischen Strompaares das einzige Reich der Dauer in der Welt. Eroberungen können solchem Reiche nichts anhaben. Auch die Welt des Ganges und Indus ist erhalten; solche Gedankenlosigkeit ist gleichfalls unvergänglich, aber sie ist wesentlich dazu bestimmt, vermischt, bezwungen und unterdrückt zu werden. Wie diese zwei Reiche, nach der zeitlichen Gegenwart, auf Erden geblieben, so ist dagegen von den Reichen des Tigris und Euphrat nichts mehr übrig als höchstens ein Haufen von Backsteinen; denn das persische Reich als das des Überganges ist das vergängliche, und die Reiche des Kaspischen Meeres sind dem alten Kampf von Iran und Turan preisgegeben. Das Reich des einen Nil aber ist nur unter der Erde vorhanden, in seinen stummen Toten, die jetzt in alle Welt verschleppt werden, und in deren majestätischen Behausungen; - denn was über der Erde noch steht, sind selbst nur solche prächtige Gräber.

 

[Erster Abschnitt: China] [Zweiter Abschnitt: Indien] [Dritter Abschnitt: Persien]

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Manfred Herok  2013

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