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Zweites Kapitel. Das Christentum
Es ist bemerkt worden, daß Cäsar die neue Welt nach ihrer realen Seite eröffnete; nach ihrer geistigen und inneren Existenz tat sie sich unter Augustus auf. Beim Beginn des Kaisertums, dessen Prinzip wir als die zur Unendlichkeit gesteigerte Endlichkeit und partikuläre Subjektivität erkannt haben, ist in demselben Prinzip der Subjektivität das Heil der Welt geboren worden; nämlich als ein dieser Mensch, in abstrakter Subjektivität, aber so, daß umgekehrt die Endlichkeit nur die Form seiner Erscheinung ist, deren Wesen und Inhalt vielmehr die Unendlichkeit, das absolute Fürsichsein ausmacht. Die römische Welt, wie sie beschrieben worden, in ihrer Ratlosigkeit und in dem Schmerz des von Gott Verlassenseins hat den Bruch mit der Wirklichkeit und die gemeinsame Sehnsucht nach einer Befriedigung, die nur im Geiste innerlich erreicht werden kann, hervorgetrieben und den Boden für eine höhere geistige Welt bereitet. Sie war das Fatum, welches die Götter und das heitere Leben in ihrem Dienst erdrückte, und die Macht, welche das menschliche Gemüt von aller Besonderheit reinigte. Ihr ganzer Zustand gleicht daher der Geburtsstätte und ihr Schmerz den Geburtswehen von einem anderen höheren Geist, der mit der christlichen Religion geoffenbart worden. Dieser höhere Geist enthält die Versöhnung und die Befreiung des Geistes, indem der Mensch das Bewußtsein vom Geiste in seiner Allgemeinheit und Unendlichkeit erhält. Das absolute Objekt, die Wahrheit, ist der Geist, und weil der Mensch selbst Geist ist, so ist er sich in diesem Objekte gegenwärtig und hat so in seinem absoluten Gegenstande das Wesen und sein Wesen gefunden. Damit aber die Gegenständlichkeit des Wesens aufgehoben werde und der Geist bei sich selber sei, muß die Natürlichkeit des Geistes, worin der Mensch ein besonderer und empirischer ist, negiert werden, damit das Fremdartige getilgt werde und die Versöhnung des Geistes sich vollbringe.
Gott wird nur so als Geist erkannt, indem er als der Dreieinige gewußt wird. Dieses neue Prinzip ist die Angel, um welche sich die Weltgeschichte dreht. Bis hierher und von daher geht die Geschichte. "Als die Zeit erfüllet war, sandte Gott seinen Sohn ", heißt es in der Bibel. Das heißt nichts anderes als: das Selbstbewußtsein hatte sich zu denjenigen Momenten erhoben, welche zum Begriff des Geistes gehören, und zum Bedürfnis, diese Momente auf eine absolute Weise zu fassen. Dies ist jetzt näher zu zeigen.
Wir sagten von den Griechen, daß das Gesetz für ihren Geist war: "Mensch erkenne dich". Der griechische Geist war Bewußtsein des Geistes, aber des beschränkten, welcher das Naturelement als wesentliches Ingrediens hatte. Der Geist herrscht wohl darüber, aber die Einheit des Herrschenden und Beherrschten war selbst noch natürlich; der Geist erschien als bestimmter in einer Menge von Individualitäten der Volksgeister und der Götter und war vorgestellt durch die Kunst, worin das Sinnliche nur bis zur Mitte der schönen Form und Gestalt, nicht aber zum reinen Denken erhoben wird.
Das den Griechen fehlende Moment der Innerlichkeit fanden wir bei den Römern; aber weil es formell und unbestimmt in sich war, nahm es seinen Inhalt aus der Leidenschaft und Willkür, ja das Verruchteste konnte sich hier mit dem Schauer der Göttlichkeit verbinden. (Man sehe die Aussage der Hispala über die Bacchanalien bei Livius 39, 13.) Dies Element der Innerlichkeit ist dann weiter realisiert als Persönlichkeit der Individuen, welche Realisierung dem Prinzipe adäquat und so abstrakt und formell, wie dieses ist. Als dieses ich bin ich für mich unendlich, und das Dasein meiner ist mein Eigentum und meine Anerkennung als Person. Weiter geht diese Innerlichkeit nicht; aller weitere Inhalt ist darin verschwunden. Dadurch sind die Individuen als Atome gesetzt; zugleich aber stehen sie unter der harten Herrschaft des Einen, welche als monas monadum die Macht über die Privatpersonen ist. Dies Privatrecht ist daher ebenso ein Nichtdasein, ein Nichtanerkennen der Person, und dieser Zustand des Rechts ist vollendete Rechtlosigkeit. Dieser Widerspruch ist das Elend der römischen Welt. Das Subjekt ist nach dem Prinzipe seiner Persönlichkeit nur zu dem Besitze berechtigt, und die Person der Personen zum Besitz aller, so daß das einzelne Recht zugleich aufgehoben und rechtlos ist. Das Elend dieses Widerspruchs ist aber die Zucht der Welt. Zucht kommt her von ziehen, zu etwas hin, und es ist irgendeine feste Einheit im Hintergrunde, wohin gezogen und wozu erzogen werden soll, damit man dem Ziele adäquat werde. Es ist ein Abtun, ein Abgewöhnen als Mittel der Hinführung zu einer absoluten Grundlage. Jener Widerspruch der römischen Welt ist das Verhältnis solcher Zucht; er ist die Zucht der Bildung, durch welche die Person zugleich ihre Nichtigkeit manifestiert.
Aber zunächst erscheint dies nur uns als Zucht, und diese ist für die Gezogenen ein blindes Schicksal, dem sie sich im stumpfen Leiden ergeben; es fehlt noch die höhere Bestimmung, daß das Innere selbst zum Schmerz und zur Sehnsucht komme, daß der Mensch nicht nur gezogen werde, sondern daß dies Ziehen sich als ein Ziehen in sich hinein zeige. Was nur unsere Reflexion war, muß dem Subjekte selbst als eigene so aufgehen, daß es sich in sich selbst als elend und nichtig wisse. Das äußerliche Unglück muß, wie schon gesagt, zum Schmerze des Menschen in sich selbst werden: er muß sich als das Negative seiner selbst fühlen, er muß einsehen, daß sein Unglück das Unglück seiner Natur sei, daß er in sich selbst das Getrennte und Entzweite sei. Diese Bestimmung der Zucht in sich selbst, des Schmerzes seiner eigenen Nichtigkeit, des eigenen Elendes, der Sehnsucht über diesen Zustand des Innern hinaus ist anderwärts als in der eigentlichen römischen Welt zu suchen; sie gibt dem jüdischen Volke seine welthistorische Bedeutung und Wichtigkeit, denn aus ihr ist das Höhere aufgegangen, daß der Geist zum absoluten Selbstbewußtsein gekommen ist, indem er sich aus dem Anderssein, welches seine Entzweiung und Schmerz ist, in sich selbst reflektiert. Am reinsten und schönsten finden wir die angegebene Bestimmung des jüdischen Volkes in den Davidischen Psalmen und in den Propheten ausgesprochen, wo der Durst der Seele nach Gott, der tiefste Schmerz derselben über ihre Fehler, das Verlangen nach Gerechtigkeit und Frömmigkeit den Inhalt ausmachen. Von diesem Geist findet sich die mythische Darstellung gleich im Anfang der jüdischen Bücher, in der Geschichte des Sündenfalls. Der Mensch, nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen, wird erzählt, habe sein absolutes Befriedigtsein dadurch verloren, daß er von dem Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen gegessen habe. Die Sünde besteht hier nur in der Erkenntnis: diese ist das Sündhafte, und durch sie hat der Mensch sein natürliches Glück verscherzt. Es ist dieses eine tiefe Wahrheit, daß das Böse im Bewußtsein liegt, denn die Tiere sind weder böse noch gut, ebensowenig der bloß natürliche Mensch. Erst das Bewußtsein gibt die Trennung des Ich, nach seiner unendlichen Freiheit als Willkür, und des reinen Inhalts des Willens, des Guten. Das Erkennen als Aufhebung der natürlichen Einheit ist der Sündenfall, der keine zufällige, sondern die ewige Geschichte des Geistes ist. Denn der Zustand der Unschuld, dieser paradiesische Zustand, ist der tierische. Das Paradies ist ein Park, wo nur die Tiere und nicht die Menschen bleiben können. Denn das Tier ist mit Gott eins, aber nur an sich. Nur der Mensch ist Geist, d. h. für sich selbst. Dieses Fürsichsein, dieses Bewußtsein ist aber zugleich die Trennung von dem allgemeinen göttlichen Geist. Halte ich mich in meiner abstrakten Freiheit gegen das Gute, so ist dies eben der Standpunkt des Bösen. Der Sündenfall ist daher der ewige Mythus des Menschen, wodurch er eben Mensch wird. Das Bleiben auf diesem Standpunkte ist jedoch das Böse, und diese Empfindung des Schmerzes über sich und der Sehnsucht finden wir bei David, wenn er singt: Herr, schaffe mir ein reines Herz, einen neuen gewissen Geist. Diese Empfindung sehen wir schon im Sündenfall vorhanden, wo jedoch noch nicht die Versöhnung, sondern das Verbleiben im Unglück ausgesprochen wird. Doch ist darin zugleich die Prophezeiung der Versöhnung enthalten, namentlich in dem Satze: "Der Schlange soll der Kopf zertreten werden"; aber noch tiefer darin, daß Gott, als er sah, daß Adam von jenem Baume gegessen hatte, sagte: "Siehe, Adam ist worden wie unsereiner, wissend das Gute und das Böse." Gott bestätigt die Worte der Schlange. An und für sich ist also die Wahrheit, daß der Mensch durch den Geist, durch die Erkenntnis des Allgemeinen und Einzelnen Gott selbst erfaßt. Aber dies spricht Gott erst, nicht der Mensch, welcher vielmehr in der Entzweiung bleibt. Die Befriedigung der Versöhnung ist für den Menschen noch nicht vorhanden, die absolute letzte Befriedigung des ganzen Wesens des Menschen ist noch nicht gefunden, sondern nur erst für Gott. Vorderhand bleibt das Gefühl des Schmerzes über sich das Letzte des Menschen. Die Befriedigung des Menschen sind zunächst endliche Befriedigungen in der Familie und im Besitze des Landes Kanaan. In Gott ist er nicht befriedigt. Gott werden wohl im Tempel Opfer gebracht, ihm wird gebüßt durch äußerliche Opfer und innere Reue. Diese äußerliche Befriedigung in der Familie und im Besitze aber ist dem jüdischen Volke in der Zucht des Römischen Reiches genommen worden. Die syrischen Könige unterdrückten es zwar schon, aber erst die Römer haben seine Individualität negiert. Der Tempel Zions ist zerstört, das Gott dienende Volk ist zerstäubt. Hier ist also jede Befriedigung genommen und das Volk auf den Standpunkt des ersten Mythus zurückgeworfen, auf den Standpunkt des Schmerzes der menschlichen Natur in ihr selbst. Dem allgemeinen Fatum der römischen Welt steht hier gegenüber das Bewußtsein des Bösen und die Richtung auf den Herrn. Es kommt nur darauf an, daß diese Grundidee zu einem objektiven allgemeinen Sinne erweitert und als das konkrete Wesen des Menschen, als die Erfüllung seiner Natur, genommen werde. Früher galt den Juden als dies Konkrete das Land Kanaan und sie selbst als das Volk Gottes. Dieser Inhalt ist aber jetzt verloren, und es entsteht daraus das Gefühl des Unglücks und des Verzweifelns an Gott, an den jene Realität wesentlich geknüpft war. Das Elend ist also hier nicht Stumpfheit in einem blinden Fatum, sondern unendliche Energie der Sehnsucht. Der Stoizismus lehrte nur: das Negative ist nicht, und es gibt keinen Schmerz; aber die jüdische Empfindung beharrt vielmehr in der Realität und verlangt darin die Versöhnung; denn sie ruht auf der orientalischen Einheit der Natur, d. i. der Realität, der Subjektivität und der Substanz des Einen. Durch den Verlust der bloß äußerlichen Realität wird der Geist in sich zurückgetrieben; die Seite der Realität wird so gereinigt zum Allgemeinen, durch die Beziehung auf den Einen. Der orientalische Gegensatz von Licht und Finsternis ist hier in den Geist verlegt, und die Finsternis ist hier die Sünde. Es bleibt nun für die negierte Realität nichts übrig als die Subjektivität selbst, der menschliche Wille in sich als allgemeiner; und dadurch allein wird die Versöhnung möglich. Sünde ist Erkennen des Guten und Bösen als Trennung; das Erkennen heilt aber ebenso den alten Schaden und ist der Quell der unendlichen Versöhnung. Nämlich Erkennen heißt eben das Äußerliche, Fremde des Bewußtseins vernichten und ist so Rückkehr der Subjektivität in sich. Dies nun im realen Selbstbewußtsein der Welt gesetzt ist die Versöhnung der Welt. Aus der Unruhe des unendlichen Schmerzes, in welcher die beiden Seiten des Gegensatzes sich aufeinander beziehen, geht die Einheit Gottes und der als negativ gesetzten Realität, d. i. der von ihm getrennten Subjektivität hervor. Der unendliche Verlust wird nur durch seine Unendlichkeit ausgeglichen und dadurch unendlicher Gewinn.
Die Identität des Subjekts und Gottes kommt in die Welt, als die Zeit erfüllt war: das Bewußtsein dieser Identität ist das Erkennen Gottes in seiner Wahrheit. Der Inhalt der Wahrheit ist der Geist selbst, die lebendige Bewegung in sich selbst. Die Natur Gottes, reiner Geist zu sein, wird dem Menschen in der christlichen Religion offenbar. Was ist aber der Geist? Er ist das Eine, sich selbst gleiche Unendliche, die reine Identität, welche zweitens sich von sich trennt, als das Andere ihrer selbst, als das Fürsich- und Insichsein gegen das Allgemeine. Diese Trennung ist aber dadurch aufgehoben, daß die atomistische Subjektivität, als die einfache Beziehung auf sich, selbst das Allgemeine, mit sich Identische ist. Sagen wir so, daß der Geist die absolute Reflexion in sich selbst durch seine absolute Unterscheidung ist, die Liebe als Empfindung, das Wissen als der Geist, so ist er als der dreieinige aufgefaßt: der Vater und der Sohn, und dieser Unterschied in seiner Einheit als der Geist. Weiter ist nun zu bemerken, daß in dieser Wahrheit die Beziehung des Menschen auf diese Wahrheit selbst gesetzt ist. Denn der Geist stellt sich als sein Anderes sich gegenüber und ist aus diesem Unterschiede Rückkehr in sich selbst. Das Andere in der reinen Idee aufgefaßt ist der Sohn Gottes, aber dies Andere in seiner Besonderung ist die Welt, die Natur und der endliche Geist: der endliche Geist ist somit selbst als ein Moment Gottes gesetzt. So ist der Mensch also selbst in dem Begriffe Gottes enthalten, und dies Enthaltensein kann so ausgedrückt werden, daß die Einheit des Menschen und Gottes in der christlichen Religion gesetzt sei. Diese Einheit darf nicht flach aufgefaßt werden, als ob Gott nur Mensch und der Mensch ebenso Gott sei, sondern der Mensch ist nur insofern Gott, als er die Natürlichkeit und Endlichkeit seines Geistes aufhebt und sich zu Gott erhebt. Für den Menschen nämlich, der der Wahrheit teilhaftig ist und das weiß, daß er selbst Moment der göttlichen Idee ist, ist zugleich das Aufgeben seiner Natürlichkeit gesetzt, denn das Natürliche ist das Unfreie und Ungeistige. In dieser Idee Gottes liegt nun auch die Versöhnung des Schmerzes und des Unglücks des Menschen in sich. Denn das Unglück ist selbst nunmehr als ein notwendiges gewußt, zur Vermittlung der Einheit des Menschen mit Gott. Diese ansichseiende Einheit ist zunächst nur für das denkende, spekulative Bewußtsein; sie muß aber auch für das sinnliche vorstellende Bewußtsein sein, sie muß Gegenstand für die Welt werden, sie muß erscheinen, und zwar in der sinnlichen Gestalt des Geistes, welche die menschliche ist. Christus ist erschienen, ein Mensch, der Gott ist, und Gott, der Mensch ist; damit ist der Welt Friede und Versöhnung geworden. Es ist hier an den griechischen Anthropomorphismus zu erinnern, von dem gesagt worden, daß er nicht weit genug gegangen sei. Denn die griechische natürliche Heiterkeit ist noch nicht fortgegangen bis zur subjektiven Freiheit des Ich-selbst, noch nicht zu dieser Innerlichkeit, noch nicht bis zur Bestimmung des Geistes als eines Diesen.
Zu der Erscheinung des christlichen Gottes gehört ferner, daß sie einzig in ihrer Art sei; sie kann nur einmal geschehen, denn Gott ist Subjekt und als erscheinende Subjektivität nur ausschließend ein Individuum. Die Lamas werden immer neu erwählt, weil Gott im Orient nur als Substanz gewußt ist, welcher deshalb die unendliche Form in einer Vielheit der Besonderung nur äußerlich ist. Aber die Subjektivität als unendliche Beziehung auf sich hat die Form an ihr selbst und ist als erscheinende nur eine, ausschließend gegen alle andere. - Weiter aber ist das sinnliche Dasein, worin der Geist ist, nur ein vorübergehendes Moment. Christus ist gestorben; nur als gestorben ist er aufgehoben gen Himmel und sitzend zur Rechten Gottes, und nur so ist er Geist. Er selbst sagt: Wenn ich nicht mehr bei euch bin, wird euch der Geist in alle Wahrheit leiten. Erst am Pfingstfeste wurden die Apostel des Heiligen Geistes voll. Für die Apostel war Christus als lebend nicht das, was er ihnen später als Geist der Gemeinde war, worin er erst für ihr wahrhaft geistiges Bewußtsein wurde. Ebensowenig ist es das rechte Verhältnis, wenn wir uns Christi nur als einer gewesenen historischen Person erinnern. Man fragt dann: Was hat es mit seiner Geburt, mit seinem Vater und seiner Mutter, mit seiner häuslichen Erziehung, mit seinen Wundern usf. für eine Bewandtnis, d. h. was ist er geistlos betrachtet? Betrachtet man ihn auch nur nach seinen Talenten, Charakter und Moralität, als Lehrer usf., so stellt man ihn auf gleiche Linie mit Sokrates und anderen, wenn man auch seine Moral höher stellt. Vortrefflichkeit des Charakters aber, Moral usf., dies alles ist nicht das letzte Bedürfnis des Geistes, daß nämlich der Mensch den spekulativen Begriff des Geistes in seine Vorstellung bekomme. Wenn Christus nur ein vortreffliches, sogar unsündliches Individuum und nur dies sein soll, so ist die Vorstellung der spekulativen Idee, der absoluten Wahrheit geleugnet. Um diese aber ist es zu tun, und von dieser ist auszugehen. Macht exegetisch, kritisch, historisch aus Christus, was ihr wollt, ebenso zeigt, wie ihr wollt, daß die Lehren der Kirche auf den Konzilien durch dieses und jenes Interesse und Leidenschaft der Bischöfe zustande gekommen oder von da oder dorther flossen - alle solche Umstände mögen beschaffen sein, wie sie wollen; es fragt sich allein, was die Idee oder die Wahrheit an und für sich ist.
Die Beglaubigung der Göttlichkeit Christi ist ferner das Zeugnis des eigenen Geistes, nicht die Wunder; denn nur der Geist erkennt den Geist. Die Wunder können der Weg zur Erkenntnis sein. Wunder heißt, daß der natürliche Lauf der Dinge unterbrochen wird; es ist aber sehr relativ, was man den natürlichen Lauf nennt, und die Wirkung des Magnets z. B. ist so ein Wunder. Auch das Wunder der göttlichen Sendung beweist nichts; denn auch Sokrates brachte ein neues Selbstbewußtsein des Geistes gegen den gewöhnlichen Lauf der Vorstellung auf. Die Hauptfrage ist nicht die göttliche Sendung, sondern die Offenbarung und der Inhalt dieser Sendung. Christus selbst tadelt die Pharisäer, welche Wunder von ihm verlangen, und spricht von den falschen Propheten, welche Wunder tun werden.
Was wir nun weiter zu betrachten haben, ist die Bildung der christlichen Vorstellung zur Kirche. Diese Bildung aus dem Begriff des Christentums zu entwickeln, würde zu weit führen, und es sind hier nur die allgemeinen Momente anzugeben. Das erste Moment ist die Stiftung der christlichen Religion, worin das Prinzip derselben mit unendlicher Energie, aber zuerst abstrakt, ausgesprochen wird. Dies finden wir in den Evangelien, wo die Unendlichkeit des Geistes, seine Erhebung in die geistige Welt als das allein Wahrhafte, mit Zurücksetzung aller Bande der Welt das Grundthema ist. Mit einer unendlichen Parrhesie steht Christus im jüdischen Volke auf. "Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen", sagt er in seiner Bergpredigt, ein Spruch der höchsten Einfachheit und Elastizität gegen alles, was dem menschlichen Gemüte von Äußerlichem aufgebürdet werden kann. Das reine Herz ist der Boden, auf dem Gott dem Menschen gegenwärtig ist: wer von diesem Spruch durchdrungen ist, ist gegen alle fremden Bande und Aberglauben gewappnet. Dazu treten nun die anderen Sprüche: "Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen"; und "Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn das Himmelreich ist ihr"; und "Ihr sollt vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist." Wir haben hier eine ganz bestimmte Forderung von Christus. Die unendliche Erhebung des Geistes zur einfachen Reinheit ist an die Spitze als Grundlage gestellt. Die Form der Vermittlung ist noch nicht gegeben, sondern es ist das Ziel als ein absolutes Gebot aufgestellt. Was nun ferner die Beziehung dieses Standpunktes des Geistes auf das weltliche Dasein anbetrifft, so ist auch da diese Reinheit als die substantielle Grundlage vorgetragen. "Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles zufallen"; und "Die Leiden dieser Zeit sind nicht wert jener Herrlichkeit."*) Hier sagt Christus, daß die äußerlichen Leiden als solche nicht zu fürchten und zu fliehen sind, denn sie sind nichts gegen jene Herrlichkeit. Weiter wird dann diese Lehre, eben weil sie abstrakt erscheint, polemisch. "Ärgert dich dein rechtes Auge, so reiß es aus und wirf es von dir; ärgert dich deine rechte Hand, so haue sie ab und wirf sie von dir. Es ist besser, daß eines deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde." Was die Reinheit der Seele trüben könnte, soll vernichtet werden. In Beziehung auf das Eigentum und den Erwerb heißt es ebenso: "Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr denn die Speise und der Leib mehr denn die Kleidung? Sehet die Vögel unter dem Himmel an, sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater nähret sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie?" Die Arbeit für die Subsistenz ist so verworfen. "Willst du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach." Würde dies so unmittelbar befolgt, so müßte eine Umkehrung entstehen: die Armen würden die Reichen werden. So hoch steht nämlich die Lehre Christi, daß alle Pflichten und sittlichen Bande dagegen gleichgültig sind. Zu einem Jüngling, der noch seinen Vater begraben will, sagt Christus: "Laß die Toten ihre Toten begraben und folge mir nach." "Wer Vater und Mutter mehr liebet denn mich, der ist mein nicht wert." Er sprach: Wer ist meine Mutter? und wer sind meine Brüder?" Und reckte die Hand aus über seine Jünger und sprach: "Siehe da, das ist meine Mutter und meine Brüder. Denn wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, derselbige ist mein Bruder, Schwester und Mutter." Ja es heißt sogar: "Ihr sollt nicht wähnen, daß ich kommen sei, Frieden zu senden auf Erden. Ich bin nicht kommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert. Denn ich bin kommen, den Menschen zu erregen wider seinen Vater und die Tochter wider ihre Mutter und die Schnur wider ihre Schwieger." Hierin liegt eine Abstraktion von allem, was zur Wirklichkeit gehört, selbst von den sittlichen Banden. Man kann sagen, nirgend sei so revolutionär gesprochen als in den Evangelien, denn alles sonst Geltende ist als ein Gleichgültiges, nicht zu Achtendes gesetzt.
Das Weitere ist dann, daß dieses Prinzip sich entwickelt hat, und die ganze folgende Geschichte ist die Geschichte seiner Entwicklung. Die nächste Realität ist diese, daß die Freunde Christi eine Gesellschaft, eine Gemeinde bilden. Es ist schon bemerkt worden, daß erst nach dem Tode Christi der Geist über seine Freunde kommen konnte, daß sie da erst die wahrhafte Idee Gottes zu fassen vermochten, daß nämlich in Christus der Mensch erlöst und versöhnt ist; denn in ihm ist der Begriff der ewigen Wahrheit erkannt, daß das Wesen des Menschen der Geist ist und daß er nur, indem er sich seiner Endlichkeit entäußert und sich dem reinen Selbstbewußtsein hingibt, die Wahrheit erreicht. Christus, der Mensch als Mensch, in dem die Einheit Gottes und des Menschen erschienen ist, hat an seinem Tode, seiner Geschichte überhaupt, selbst die ewige Geschichte des Geistes gezeigt - eine Geschichte, die jeder Mensch an ihm selbst zu vollbringen hat, um als Geist zu sein oder um Kind Gottes, Bürger seines Reiches zu werden. Die Anhänger Christi, die sich in diesem Sinne verbinden und in dem geistigen Leben als ihrem Zwecke leben, bilden die Gemeinde, die das Reich Gottes ist. "Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen" (d. i. in der Bestimmung dessen, was ich bin), sagt Christus, "da bin ich mitten unter ihnen." Die Gemeinde ist ein wirkliches, gegenwärtiges Leben im Geiste Christi.
Die christliche Religion muß durchaus nicht bloß auf die Aussprüche Christi selbst zurückgeführt werden: in den Aposteln stellt sich erst die gesetzte, entwickelte Wahrheit dar. Dieser Inhalt hat sich in der christlichen Gemeinde entwickelt. Die Gemeinde befand sich nun zunächst in einem doppelten Verhältnisse, einmal im Verhältnisse zur römischen Welt und dann zur Wahrheit, deren Entwicklung ihr Ziel war. Wir wollen diese verschiedenen Beziehungen einzeln durchgehen.
Die Gemeinde befand sich in der römischen Welt, und die Ausbreitung der christlichen Religion sollte in dieser vor sich gehen. Es mußte sich nun die Gemeinde zunächst von aller Tätigkeit im Staate entfernt halten, für sich eine getrennte Gesellschaft ausmachen und gegen die Staatsbeschlüsse, Ansichten und Handlungen nicht reagieren. Da sie aber vom Staate abgeschlossen war und ebenso den Kaiser nicht für ihren unumschränkten Oberherrn hielt, so war sie der Gegenstand der Verfolgung und des Hasses. Da offenbarte sich nun diese unendliche innere Freiheit durch die große Standhaftigkeit, womit Leiden und Schmerzen um der höchsten Wahrheit willen geduldig ertragen wurden. Weniger sind es die Wunder der Apostel, welche dem Christentum diese äußere Ausbreitung und innere Stärke gegeben haben, als der Inhalt, die Wahrheit der Lehre selbst. Christus selbst sagt: "Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr! haben wir nicht in deinem Namen geweissaget, haben wir nicht in deinem Namen Teufel ausgetrieben, haben wir nicht in deinem Namen viele Taten getan? Dann werde ich ihnen bekennen: ich habe euch noch nie erkannt, weichet alle von mir, ihr Übeltäter."
Was nun die andere Beziehung zur Wahrheit betrifft, so ist es besonders wichtig zu bemerken, daß das Dogma, das Theoretische, schon in der römischen Welt ausgebildet worden ist, wogegen die Entwicklung des Staates aus diesem Prinzipe viel später ist. Die Kirchenväter und die Konzilien haben das Dogma festgesetzt, aber zu dieser Aufstellung war ein Hauptmoment die vorhergegangene Ausbildung der Philosophie. Sehen wir näher, wie sich die Philosophie der Zeit zur Religion verhielt. Es ist schon bemerkt worden, daß die römische Innerlichkeit und Subjektivität, welche sich nur abstrakt als geistlose Persönlichkeit in der Sprödigkeit des Ich zeigte, durch die Philosophie des Stoizismus und Skeptizismus zur Form der Allgemeinheit gereinigt wurde. Es war damit der Boden des Gedankens gewonnen, und Gott wurde als der Eine, Unendliche im Gedanken gewußt. Das Allgemeine ist hier nur als unwichtiges Prädikat, das hiermit nicht Subjekt an sich ist, sondern dafür des konkreten, besonderen Inhaltes bedarf. Das Eine und Allgemeine aber, als das Weite der Phantasie, ist überhaupt morgenländisch; denn dem Morgenlande gehören die maßlosen Anschauungen an, die alles Begrenzte über sich selbst hinaustreiben. Auf dem Boden des Gedankens selbst vorgestellt ist das orientalisch Eine der unsichtbare und unsinnliche Gott des israelitischen Volkes, der aber zugleich für die Vorstellung als Subjekt ist. Dies Prinzip ist nunmehr welthistorisch geworden.
In der römischen Welt war die Vereinigung des Morgen- und Abendlandes zunächst auf äußerliche Weise durch Eroberung geschehen; sie geschah nun auch innerlich, indem der Geist des Morgenlandes sich über das Abendland zog. Die Gottesdienste der Isis und des Mithra waren über die ganze römische Welt verbreitet; der ins Äußerliche und in die endlichen Zwecke verlorene Geist hat sich nach einem Unendlichen gesehnt. Das Abendland verlangte aber nach einer tieferen, rein innerlichen Allgemeinheit, nach einem Unendlichen, das zugleich die Bestimmtheit in sich hätte. Wiederum war es in Ägypten, und zwar in Alexandrien, in dem Mittelpunkt der Kommunikation zwischen dem Orient und dem Okzident, wo das Problem der Zeit für den Gedanken aufgestellt wurde, und die Lösung war jetzt - der Geist. Dort sind sich die beiden Prinzipien wissenschaftlich begegnet und sind wissenschaftlich verbreitet worden. Es ist besonders merkwürdig, dort gelehrte Juden, wie Philon, abstrakte Formen des Konkreten, die sie von Platon und Aristoteles erhalten haben, mit ihrer Vorstellung des Unendlichen verbinden und Gott nach dem konkreteren Begriffe des Geistes, mit der Bestimmung Λ?ό?γ?ο?ς?, erkennen zu sehen. So haben auch die tiefen Denker zu Alexandria die Einheit der Platonischen und Aristotelischen Philosophie begriffen, und ihr spekulativer Gedanke gelangte zu den abstrakten Ideen, welche ebenso der Grundinhalt der christlichen Religion sind. Die Philosophie hatte bei den Heiden schon die Richtung genommen, daß die Ideen, welche man als die wahren erkannte, als Forderungen an die heidnische Religion gebracht wurden. Platon hatte die Mythologie gänzlich verworfen und wurde mit seinen Anhängern des Atheismus angeklagt. Die Alexandriner dagegen versuchten in den griechischen Götterbildern eine spekulative Wahrheit aufzuweisen, und der Kaiser Julianus Apostata hat diese Seite dann wieder aufgenommen, indem er behauptete, die heidnischen Gottesdienste seien mit der Vernünftigkeit eng verbunden. Die Heiden wurden gleichsam dazu gezwungen, auch ihre Götter nicht bloß als sinnliche Vorstellungen ansehen zu lassen, und so haben sie es versucht, dieselben zu vergeistigen. Auch ist so viel gewiß, daß die griechische Religion eine Vernunft enthält, denn die Substanz des Geistes ist die Vernunft, und sein Erzeugnis muß ein Vernünftiges sein; nur ist ein Unterschied, ob die Vernunft in der Religion expliziert oder ob sie nur dunkel und als Grundlage darin vorhanden ist. Wenn nun die Griechen ihre sinnlichen Götter so vergeistigt haben, so suchten die Christen ihrerseits auch in dem Geschichtlichen ihrer Religion einen tieferen Sinn. Ebenso wie Philon in der Mosaischen Urkunde ein Tieferes angedeutet fand und das Äußerliche der Erzählung idealisierte, taten auch die Christen dasselbe, einerseits in polemischer Rücksicht, andererseits noch mehr um der Sache selbst willen. Weil aber die Dogmen in die christliche Religion durch die Philosophie hineingekommen sind, darf man nicht behaupten, sie seien dem Christentum fremd und gingen dasselbige nichts an. Wo etwas hergekommen ist, das ist vollkommen gleichgültig; die Frage ist nur: ist es wahr an und für sich? Viele glauben genug getan zu haben, wenn sie sagen, etwas sei neuplatonisch, um es aus dem Christentum zu verweisen. Ob eine christliche Lehre gerade so in der Bibel steht, worauf in neueren Zeiten die exegetischen Gelehrten alles setzen, darauf kommt es nicht allein an. Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig, das sagen sie selbst und verdrehen es doch, indem sie den Verstand für den Geist nehmen. Es ist die Kirche, welche jene Lehren erkannt und festgestellt hat, der Geist der Gemeinde, und es ist selbst ein Artikel der Lehre: Ich glaube an eine heilige Kirche; wie auch Christus selbst gesagt hat: "Der Geist wird euch in alle Wahrheit leiten." Im Nizäischen Konzilium wurde endlich (im Jahre 325 nach Chr. Geb.) ein festes Glaubensbekenntnis, an das wir uns jetzt noch halten, aufgestellt; dieses Bekenntnis hatte zwar keine spekulative Gestalt, aber das tief Spekulative ist aufs innigste verwebt mit der Erscheinung Christi selbst. Schon bei Johannes (εe̓?ν? αa̓?ϱ?χ?η? η?̓?ν? ο?̔? λ?ό?γ?ο?ς?, ϰ?αaι?̀` ο?̔? λ?ό?γ?ο?ς? η?̓?ν? πpϱ?ο?̀`ς? τtο?̀`ν? ϑ?εeο?̀`ν?, ϰ?αaι?̀` ϑ?εeο?̀`ς? η?̓?ν? ο?̔? λ?ό?γ?ο?ς? [I, 1]) sehen wir den Anfang einer tieferen Auffassung: der tiefste Gedanke ist mit der Gestalt Christi, mit dem Geschichtlichen und Äußerlichen vereinigt, und das ist eben das Große der christlichen Religion, daß sie bei aller dieser Tiefe leicht vom Bewußtsein in äußerlicher Hinsicht aufzufassen ist und zugleich zum tieferen Eindringen auffordert. Sie ist so für jede Stufe der Bildung und befriedigt zugleich die höchsten Anforderungen.
Wenn wir so von dem Verhältnis der Gemeinde einerseits zur römischen Welt, andererseits zu der in dem Dogma enthaltenen Wahrheit gesprochen haben, so kommen wir nunmehr zu dem dritten, welches sowohl Lehre als äußerliche Welt ist, nämlich zur Kirche. Die Gemeinde ist das Reich Christi, dessen wirkender gegenwärtiger Geist Christus ist, denn dieses Reich hat eine wirkliche Gegenwart, keine nur zukünftige. Deshalb hat diese geistige Gegenwart auch eine äußerliche Existenz nicht nur neben dem Heidentum, sondern neben der weltlichen Existenz überhaupt. Denn die Kirche als dieses äußerliche Dasein ist nicht nur Religion einer anderen Religion gegenüber, sondern zugleich weltliches Dasein neben weltlichem Dasein. Das religiöse Dasein wird von Christus, das weltliche Reich von der Willkür der Individuen selbst regiert. In dieses Reich Gottes nun muß eine Organisation eintreten. Zunächst wissen alle Individuen sich vom Geiste erfüllt; die ganze Gemeinde erkennt die Wahrheit und spricht sie aus; doch neben dieser Gemeinschaftlichkeit tritt die Notwendigkeit einer Vorsteherschaft des Leitens und Lehrens ein, die unterschieden von der Menge der Gemeinde ist. Zu Vorstehern werden die gewählt, die sich durch Talente, Charakter, Energie der Frömmigkeit, heiligen Lebenswandel, Gelehrsamkeit und Bildung überhaupt auszeichnen. Die Vorsteher, die Wissenden des allgemeinen substantiellen Lebens, die Lehrenden dieses Lebens, die Feststellenden dessen, was die Wahrheit ist, und die Spender des Genusses desselben unterscheiden sich von der Gemeinde als solcher wie die Wissenden und Regierenden von den Regierten. Der wissenden Vorsteherschaft kommt der Geist als solcher zu, in der Gemeinde ist der Geist nur als Ansichsein. Indem nun in der Vorsteherschaft der Geist als für sich seiender und selbstbewußt ist, so ist sie eine Autorität für das Geistige sowohl wie für das Weltliche, eine Autorität für die Wahrheit und für das Verhältnis des Subjekts in Beziehung auf die Wahrheit, daß nämlich das Individuum sich der Wahrheit gemäß betrage. Durch diesen Unterschied entsteht im Reich Gottes ein geistliches Reich. Derselbe ist wesentlich notwendig; aber daß für das Geistige ein Regiment der Autorität besteht, hat näher darin seinen Grund, daß sich die menschliche Subjektivität als solche noch nicht ausgebildet hat. Im Herzen ist der böse Wille zwar aufgegeben, aber der Wille ist noch nicht als menschlicher von der Göttlichkeit durchgebildet, und der menschliche Wille ist nur abstrakt befreit, nicht in seiner konkreten Wirklichkeit; denn die ganze folgende Geschichte ist erst die Realisation dieser konkreten Freiheit. Bisher ist die endliche Freiheit nur aufgehoben, um die unendliche zu erreichen, und das Licht der unendlichen Freiheit hat noch nicht das Weltliche durchschienen. Die subjektive Freiheit gilt noch nicht als solche, die Einsicht steht nicht auf ihren Füßen, sondern besteht nur im Geiste einer fremden Autorität. So hat sich denn dies geistige Reich zu einem geistlichen fortbestimmt, als das Verhältnis der Substanz des Geistes zur menschlichen Freiheit. Zu dieser inneren Organisation kommt noch, daß die Gemeinde auch eine bestimmte Äußerlichkeit und einen eigenen weltlichen Besitz erhält. Als Besitz der geistlichen Welt steht derselbe unter besonderer Obhut, und die nächste Folge davon ist, daß die Kirche keine Staatsabgaben zu bezahlen hat und daß die geistlichen Individuen der weltlichen Gerichtsbarkeit entzogen werden. Damit hängt zusammen, daß die Kirche ihr Regiment in Ansehung ihres Vermögens und ihrer Individuen selbst besorgt. So entsteht in der Kirche das kontrastierende Schauspiel, daß nur Privatpersonen und die Macht des Kaisers auf der weltlichen Seite stehen, auf der anderen die vollkommene Demokratie der Gemeinde, welche sich ihre Vorsteher wählt. Diese Demokratie geht jedoch bald durch die Priesterweihe in Aristokratie über; doch die weitere Ausbildung der Kirche hat hier ihren Ort nicht, sondern gehört erst der späteren Welt an.
Durch die christliche Religion ist also die absolute Idee Gottes in ihrer Wahrheit zum Bewußtsein gekommen, worin ebenso der Mensch nach seiner wahrhaften Natur, die in der bestimmten Anschauung des Sohnes gegeben ist, sich selbst aufgenommen findet. Der Mensch, als endlicher für sich betrachtet, ist zugleich auch Ebenbild Gottes und Quell der Unendlichkeit in ihm selbst; er ist Selbstzweck, hat in ihm selbst unendlichen Wert und die Bestimmung zur Ewigkeit. Er hat seine Heimat somit in einer übersinnlichen Welt, in einer unendlichen Innerlichkeit, welche er nur gewinnt durch den Bruch mit dem natürlichen Dasein und Wollen und durch seine Arbeit, dieses in sich zu brechen. Dies ist das religiöse Selbstbewußtsein. Aber um in den Kreis und in die Bewegung des religiösen Lebens einzutreten, muß die menschliche Natur desselben fähig sein. Diese Fähigkeit ist die δdύ?ν?αaμι?ς? für jene εe̓?ν?έ?ϱ?γ?εeι?αa. Was wir daher jetzt noch zu betrachten haben, sind die Bestimmungen, welche sich für den Menschen nach der Seite ergeben, daß er Selbstbewußtsein überhaupt ist, insofern seine geistige Natur als Ausgangspunkt und Voraussetzung ist. Diese Bestimmungen sind selbst noch nicht konkreter Art, sondern nur die ersten abstrakten Prinzipien, welche durch die christliche Religion für das weltliche Reich gewonnen sind. Erstens: die Sklaverei ist im Christentum unmöglich, denn der Mensch ist jetzt als Mensch nach seiner allgemeinen Natur in Gott angeschaut; jeder Einzelne ist ein Gegenstand der Gnade Gottes und des göttlichen Endzwecks: Gott will, daß alle Menschen selig werden. Ganz ohne alle Partikularität, an und für sich hat also der Mensch, und zwar schon als Mensch, unendlichen Wert, und eben dieser unendliche Wert hebt alle Partikularität der Geburt und des Vaterlandes auf. - Das andere, zweite Prinzip ist die Innerlichkeit des Menschen in Beziehung auf das Zufällige. Die Menschheit hat diesen Boden freier Geistigkeit an und für sich, und von ihm aus hat alles andere auszugehen. Der Ort, wo der göttliche Geist inwohnend und gegenwärtig sein soll, dieser Boden ist die geistige Innerlichkeit und wird der Ort der Entscheidung für alle Zufälligkeit. Hieraus folgt, daß, was wir früher bei den Griechen als Form der Sittlichkeit betrachteten, nicht mehr in derselben Bestimmung in der christlichen Welt seinen Standpunkt hat, denn jene Sittlichkeit ist die unreflektierte Gewohnheit; das christliche Prinzip ist aber die für sich stehende Innerlichkeit, der Boden, auf dem das Wahrhafte aufwächst. Eine unreflektierte Sittlichkeit kann nunmehr gegen das Prinzip der subjektiven Freiheit nicht stattfinden. Die griechische Freiheit war die des Glücks und des Genies; sie war noch durch Sklaven und durch Orakel bedingt; jetzt aber tritt das Prinzip der absoluten Freiheit in Gott auf. Der Mensch ist jetzt nicht mehr im Verhältnis der Abhängigkeit, sondern der Liebe, in dem Bewußtsein, daß er dem göttlichen Wesen angehört. In Ansehung der partikulären Zwecke bestimmt jetzt der Mensch sich selber und weiß sich als allgemeine Macht alles Endlichen. Alles Besondere tritt gegen den geistigen Boden der Innerlichkeit zurück, welche sich nur gegen den göttlichen Geist aufhebt. Dadurch fällt aller Aberglaube der Orakel und des Vogelflugs fort, der Mensch ist als die unendliche Macht des Entschließens anerkannt.
Diese beiden eben abgehandelten Prinzipien sind es, welche dem Ansichsein des Geistes jetzt zukommen. Der innere Ort hat einerseits die Bestimmung, den Bürger des religiösen Lebens zu bilden, Gottes Geiste sich angemessen zu machen; andererseits ist dieser Ort der Ausgangspunkt für das weltliche Verhältnis und die Aufgabe für die christliche Geschichte. Die fromme Bekehrung darf nicht im Inneren des Gemütes bleiben, sondern muß zu einer wirklichen gegenwärtigen Welt werden, die sich nach der Bestimmung jenes absoluten Geistes verhalte. Die Frömmigkeit des Gemüts schließt noch nicht in sich, daß der subjektive Wille, in seiner Beziehung nach außen, dieser Frömmigkeit unterworfen sei, sondern wir sehen noch alle Leidenschaften in die Wirklichkeit um so mehr hineinwüten, weil dieselbe als rechtlos und wertlos von der Höhe der intelligiblen Welt herab bestimmt ist. Die Aufgabe ist daher die, daß die Idee des Geistes auch in die Welt der geistigen unmittelbaren Gegenwart eingebildet werde. Darüber ist noch eine allgemeine Bemerkung zu machen. Man hat von jeher einen Gegensatz zwischen Vernunft und Religion, wie zwischen Religion und Welt aufstellen wollen; aber näher betrachtet ist er nur ein Unterschied. Die Vernunft überhaupt ist das Wesen des Geistes, des göttlichen wie des menschlichen. Der Unterschied von Religion und Welt ist nur der, daß die Religion als solche Vernunft im Gemüt und Herzen ist, daß sie ein Tempel vorgestellter Wahrheit und Freiheit in Gott ist, der Staat dagegen nach derselben Vernunft ein Tempel menschlicher Freiheit im Wissen und Wollen der Wirklichkeit ist, deren Inhalt selbst der göttliche genannt werden kann. So ist die Freiheit im Staate bewährt und bestätigt durch die Religion, indem das sittliche Recht im Staate nur die Ausführung dessen ist, was das Grundprinzip der Religion ausmacht. Das Geschäft der Geschichte ist nur, daß die Religion als menschliche Vernunft erscheine, daß das religiöse Prinzip, das dem Herzen der Menschen inwohnt, auch als weltliche Freiheit hervorgebracht werde. So wird die Entzweiung zwischen dem Innern des Herzens und dem Dasein aufgehoben. Für diese Verwirklichung ist jedoch ein anderes Volk oder sind andere Völker berufen, nämlich die germanischen. Innerhalb des alten Roms selbst kann das Christentum nicht seinen wirklichen Boden finden und ein Reich daraus gestalten.
*) Römer 8, 18; für die übrigen Zitate vgl. Matth. 5 ff.
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